SQM-Analyseraster: ORIENTIERUNG

Drei Fragen

Die 10 Aspekte der Orientierung bilden die wesentlichen Interpretationen des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung ab. Sie geben eine Antwort auf drei grundlegende Fragestellungen:

WAS?     Was wollen wir dauerhaft schützen, bewahren und entwickeln?

g    Entwicklungsdimensionen:

WARUM?      Warum gibt es eine Debatte, welches sind die Interessenkonflikte, wer schiebt Veränderungen an?

g    Dimensionen der Chancengleichheit:

WIE?    Welche Herangehensweise kann uns helfen, die Probleme zu lösen? 

g    Die systemischen Prinzipien

Verdeutlichende und erklärende Ausführungen zu diesen Aspekten finden sich in der untenstehenden Tabelle.

In der Anwendung von SQM können diese Aspekte bezogen auf die konkreten Rahmenbedingungen weiter ausgestaltet werden:

Grundlegende Erklärungen zu den Aspekten der ORIENTIERUNG in Richtung Nachhaltigkeit

O1 Umwelt Die Umweltkomponente der Nachhaltigkeit erfordert einerseits den Schutz der Reichhaltigkeit und des Potentials unserer Umwelt. Andererseits fordert sie uns auf, umweltökologische Prinzipien zu respektieren und die Funktionen der Ökosysteme, von denen der Mensch ja ein Bestandteil ist, zu erhalten. Da der Mensch die Umwelt stark geprägt hat, beinhaltet der Begriff Umwelt auch die menschengemachte Umwelt.
O2 Wirtschaft Die wirtschaftliche Komponente der nachhaltigen Entiwcklung bedeutet einerseits die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, den Erhalt und die Erhöhung des (vorwiegend materiellen) Wohlstandes. Andererseits bedeutet sie auch die Beachtung wirtschaftlicher Prinzipien: die effiziente Nutzung aller Arten von Ressourcen ist ein wesentlicher Aspekt der Nachhaltigkeit.
O3 Sozio-Kultur Einerseits geht es in dieser Dimension um den Erhalt und die Entwicklung des Human- und Sozialpotentials. Diese Potentiale umfassen alle Aspekte der Fähigkeiten, des Wissens, der Gewohnheiten, der Überzeugungen, der Kultur, der Institutionen menschlicher Gesellschaften und auch ihrer einzelnen Mitglieder. Die Kultivierung dieses Potentials erfordert andererseits die Achtung der Prinzipien, die als wesentlich für das gute Funktionieren menschlicher Gesellschaften angesehen werden, wie Menschenrechte, Demokratie usw.
O4 Chancengleichheit zwischen Individuen Chancengleichheit zwischen Individuen umfasst Chancengleichheit zwischen allen Menschen, ungeachtet ihrer sozialen Situation, ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen oder kulturellen Zugehörigkeit. Sie ist eine Grundforderung seit der Französischen Revolution und ist seit Mitte letzten Jahrhunderts ein zentrales Thema in der Entwicklung westlicher Gesellschaften. Sie bleibt ein zentrales Thema des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung. Chancengleichheit ist nicht Gleichheit (die ursprüngliche Forderung der Französischen Revolution), ihr Ziel ist es nicht, alle Unterschiede zu beseitigen, sondern vielmehr die Möglichkeiten und Chancen möglichst gleich zu verteilen. Solidarität ist wesentlich für die Verbesserung der Chancengleichheit.
O5 Chancengleichheit zwischen Communities Chancengleichheit zwischen verschiedenen Regionen und Ländern ist eine Idee, für die erst nach dem zweiten Weltkrieg ausdrückliche politische Programme entwickelt wurden. In einer Welt, in der die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Ländern ständig intensiver werden, wächst die Bedeutung dieses Konzeptes. Programme zur regionalen Struktur- und Wirtschaftsförderung haben in allen Ländern inzwischen eine hohe Priorität. Chancengleichheit für alle Menschen wird unteilbar.
O6 Chancengleichheit zwischen den Generationen Die Sorge um zukünftige Generationen stand am Anfang der Diskussion um einee nachhaltige Entwicklung. Chancengleichheit zwischen heutigen und zukünftigen Generationen, das Prinzip des Erhalts und der Vermehrung der insgesamt zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Optionen, ist ein Aspekt, der bei allen Handlungen berücksichtigt werden muss. Es gibt allerdings keine einfache Regel, die die Bewertung von Veränderungen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zulässt. Die anderen Komponenten der nachhaltigen Entwicklung müssen für die Beurteilung von Entwicklungen hinzugezogen werden.
O7 Vielfalt Vielfalt ist eine wesentliche Voraussetzung für die Weiterentwicklung aller sich entwickelnder Systeme. Begriffe wie Biodiversität, wirtschaftliche Diversität, Kulturvielfalt stehen für die Fähigkeit von Systemen, eine dynamische Stabilität zu wahren. Innovation und Anpassung an neue Bedingungen sind dort möglich, wo verschiedene Ansätze und Lösungen auf eine Weise neu kombiniert werden können, dass sie neue Ansätze und Lösungen hervorbringen. Die Strategie der Diversifikation wird daher oft gewählt, um langfristige Stabilität zu verbessern.
O8 Subsidiarität Das Prinzip der Subsidiarität erfordert grundsätzlich, dass alle Arten von Funktionen auf der niedrigstmöglichen Ebene und in den kleinstmöglichen Einheiten wahrgenommen werden. Externe Hilfestellung oder Regelung sollte nur eingreifen, wenn dies wirklich hilft, die Funktionen besser zu erfüllen und wenn dadurch nicht die Eigenständigkeit des Subsystems auf gefährliche Weise verringert wird. 
Das Prinzip der Subsidiarität hat seinen Ursprung in der katholischen Soziallehre. Dort bezieht es sich auf die soziale Verantwortung und die soziale Sicherheit. Es kann aber auf alle Arten von Systemen angewendet werden, wie z.B. Politik, Verwaltung, Handel und Gewerbe, technische Systeme, Materialflüsse in der Wirtschaft usw. 
Das Prinzip vermittelt keine eindeutigen Handlungsanweisungen, sondern beschreibt die Spannung zwischen Autonomie und der Integration in größere Systeme. Auf dieses Problem gibt es viele verschiedene Antworten. Oft werden klare Kompetenzzuweisungen für die verschiedenen hierarchischen Ebenen und Dimensionen gefordert. In einer Welt rapide zunehmender Komplexität wird es allerdings zunehmend wichtiger, zwischen etlichen Ebenen und Dimensionen geteilte und ausgehandelte Verantwortlichkeiten zu verstehen und zu handhaben. Alte Konzepte (nationaler) Souveränität müssen durch Konzepte mehrstufiger Regulationsstrukturen ersetzt werden.
Subsidiarität impliziert, dass Individuen und Gemeinschaften in die Lage versetzt werden, ihr eigenes Leben aktiv zu verwalten und zu kontrollieren. Subsidiarität nährt Demokratie durch Regulationsstile, die es den Bürgern ermöglichen, alle Dimensionen ihres Zusammenlebens zu bestimmen und die ihre Fähigkeiten verbessern, gleichberechtigt miteinander umzugehen. 
Das Verständnis der Subsidiarität scheint eine der größten Herausforderungen des aufkommenden Konzeptes nachhaltiger Entwicklung zu sein. In Übergangszeiten müssen Normen und Spielräume neu definiert werden. Subsidiarität ist nicht nur ein Thema in Bezug auf politische und soziale Systeme. Die Tendenzen in Richtung der zunehmenden globalen Ausdehnung von Unternehmen und technologischen Systemen bergen das Risiko, die Spielräume autonomer politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsfähigkeit auf allen Ebenen zu schwächen. Nur differenzierte Subsidiarität auf allen Gebieten kann eine Antwort auf diese Probleme sein.
O9 Netzwerke / Partnerschaft Der Begriff des Vernetzens hebt die Bedeutung horizontaler, nicht-hierarchischer Beziehungen hervor. Ein Netzwerk baut auf in Gegenseitigkeit vereinbarten Zielsetzungen und Regeln auf und ist grundsätzlich offen: Mitglieder können kommen und gehen. Netzwerke stellen den Austausch von Erfahrungen und Informationen sicher, sorgen für gegenseitige Hilfestellung, stabilisieren Systeme und entwickeln sich. Netzwerke sind dem Wettbewerb ausgesetzt: Mitglieder können zu anderen, attraktiveren Netzwerken überwechseln. Flexibilität und Orientierung in Richtung der Bedürfnisse der Mitglieder sind daher wesentlich, um das Bestehen von Netzwerken zu sichern. 
Das Konzept der Vernetzung ist nicht nur für soziale Systeme relevant, sondern auch für biologische oder technische Systeme. Der herausragende Erfolg der Nutzung der Vernetzungsidee in der Informationstechnologie und die parallel dazu steigende Akzeptanz in allen Arten von Organisationen führt zu einer tiefgehenden Transformation in unseren Gesellschaften.
O10 Partizipation Alle Beteiligten , die von einem Problem betroffen sind, sollten die Möglichkeit haben, an dem jeweiligen Entscheidungsprozess teilzuhaben. In den anfänglichen Phasen der Problemformulierung und der Identifizierung alternativer Lösungsmöglichkeiten ist solch eine Beteiligung besonders wichtig. Partizipation deckt sich mit Grundideen der Demokratie, begünstigt eine Vielfalt von Ansätzen und kann zur Konfliktvermeidung beitragen. Partizipation stärkt den Verantwortungssinn, motiviert die Menschen, einen Beitrag zu leisten und fördert die Befolgung von gefallenen Entscheidungen. Andererseits erfordert Partizipation Zeit und Motivation der Beteiligten, Offenheit der beteiligten Institutionen und häufig auch mehr Zeit und finanzielle Mittel als ausschließlich hierarchisch getroffene Entscheidungen. In Abhängigkeit von den gewählten Verfahren kann Partizipation auch dazu führen, dass Entscheidungen getroffen werden, die Expertenmeinungen entgegenlaufen. 
Partizipation betrifft die Weise des Treffens von Entscheidungen in allen Arten von sozialen Systemen inklusive Handel und Gewerbe. Sie erfordert die Anerkennung unterschiedlicher Interessen und Sichtweisen. Somit begünstigt sie auch einen Ansatz, der unterschiedliche Dimensionen nachhaltiger Entwicklung integriert.

Stand: 15.10.03